Subheader Juergen Preuß

Osterüberraschung der besonderen Art

am 19. April 2017, 17:17 Uhr

Vorangestellt: Am Niederrhein geboren und damit aufgewachsen in einer Region, die schon seit Jahrzehnten von kultureller Vielfalt lebt, schätze ich meine Mitbürgerinnen und Mitbürger, meine Freundinnen und Freunde mit türkischen Wurzeln sehr. Das gilt für den einzelnen Menschen, aber grundsätzlich auch für das türkische Volk, mit dem ich viele positive Dinge verbinde. Als Mensch, der um die besondere gemeinsame Geschichte der Türkei und Deutschland weiß, sehe ich eine auf gemeinsamen Interessen begründete und historisch gewachsene Freundschaft zwischen unseren beiden Völkern. Und bei aller berechtigter Kritik am Umgang miteinander bin ich immer davon ausgegangen, dass uns mit den hier lebenden Türkinnen und Türken mehr als nur eine Zweckgemeinschaft verbindet, dass wir mehr sind als eine große Multikulti-WG.

Dieses Vertrauen in das deutsch-türkische Verhältnis wurde in der letzten Zeit jedoch vermehrt auf die Probe gestellt. So etwa als der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan Deutschland „Nazi-Methoden“ unterstellte.  Nicht nur, dass mich dieser unhaltbare Vorwurf als Sozialdemokrat auch persönlich getroffen hat. Auch der ausgebliebene ernstzunehmende, öffentliche und geschlossene Widerspruch der maßgeblichen türkischen Meinungsführer hier in Deutschland hat mich nachdenklich gemacht.

Und jetzt das: Gut 64% der in Deutschland lebenden Türken, die an dem Referendum teilgenommen haben, stimmen für die Abschaffung demokratischer Grundregeln in der Türkei. Für eine Verfassungsänderung in einem Land, das viele von ihnen selber oftmals nur noch aus Urlauben kennen und in dem Familienangehörige leben, die bestenfalls gegen den „Staatsstreich“ von oben gestimmt haben. Das hat mich zunächst sprachlos gemacht!

Evet Hayir

Wie immer ratterte dann irgendwann in meinem Kopf die „Rechtfertigungsmaschine“: Es haben nur 46 Prozent der stimmberechtigten Türken in Deutschland überhaupt abgestimmt. Die Prozentrechnung sagt also, es sind ja „nur“ 30% der tatsächlich hier lebenden Wahlberechtigten, die dann letztendlich für den „starken Mann“ am Bosporus gestimmt haben. Gleichzeitig fällt mir die endlose und entwürdigende Diskussion, insbesondere der konservativen Kräfte, um den EU-Beitritt der Türkei ein, die selbst die gutwilligsten Türkinnen und Türken, aber auch viele andere Europäer zu der Frage getrieben hat, wie ernst wir die Partnerschaft mit der Türkei überhaupt nehmen. Und ich unterstelle natürlich, dass keiner meiner türkischstämmigen Freunde gegen die Demokratie gestimmt hat.

Tatsächlich aber beruhigt mich das nicht. War mein Blick auf unser deutsch-türkisches Zusammenleben zu sehr von eigenen Vorstellungen, Wünschen und Erwartungen geprägt? Was treibt gut ein Drittel der hier lebenden referendumswahlberechtigten Türken dazu, sich mit einem einfachen „Evet“, also einer Ja Stimme, von grundlegenden demokratischen Regeln wie der Gewaltenteilung von Regierung und Parlament, der Pressefreiheit und einer unabhängigen Justiz zu verabschieden, also von eben jenen Dingen, welche die demokratische türkische Republik bis vor wenigen Tagen ausmachten?

Und sehe ich auch schon einige unsägliche Diskussionen erneut aufflammen: Welche Rolle spielte die doppelte Staatsangerhörigkeit bei dem Abstimmungsergebnis? Haben wir unsere Hausaufgaben bei der Integration der Migranten richtig erledigt? Müssen sich in Zukunft Migranten zusätzlich zur obligatorischen Deutschprüfung auch einer Prüfung auf Verfassungstreue unterziehen? Und so weiter, und so fort… Dabei sind diese Diskussionen, sowie auch das Abstimmungsergebnis in Wahlkampfzeiten vor allem eines: Wasser auf die Mühlen der rechtspopulistischen Grundgesetzfeinde in Deutschland.

Mit Skepsis sehe ich auf die weitere Entwicklung der türkischen Gesellschaft insgesamt. Insbesondere aber mache ich mir Sorgen um das Zusammenleben der türkischstämmigen Gemeinde in Deutschland. Im Gegensatz zu manchem Kommentator bin ich davon überzeugt, dass das Datum des Referendums den Anfang einer Entwicklung markiert, nicht das Ende.

Wie kann es jetzt weitergehen? Ich bin mir sicher: Unser Verhältnis zur Türkei darf nicht den destruktiven Kräften in der Türkei, in Deutschland und Europa überlassen werden! Menschlich, gesellschaftlich, aber natürlich auch geostrategisch dürfen wir nicht hinnehmen, dass die Türkei letzte Reste demokratischer Anmutung abstreift und sich damit endgültig von Europa entfernt. Auch wenn der Weg in die Europäische Union angesichts der jüngsten Ereignisse wohl auf lange Zeit versperrt sein wird. Entgegen vieler anderer in den letzten Tagen abgedruckter Meinungen, sehe ich die Aufgabe insbesondere der deutschen Politik jetzt darin, die Tür nach Europa für die Türkei nicht gänzlich zu schließen. Vielmehr sehe ich eine Verpflichtung, den Dialog, geknüpft an klare Bedingungen, aufrecht zu halten. Demokratische Nichtregierungsorganisationen, Oppositionsparteien und die freie Presse in der Türkei brauchen jetzt mehr als jemals zuvor Freunde und Unterstützung aus dem Ausland. Ebenso wie auch die gut 46% der Bürgerinnen und Bürger, die gegen das Referendum gestimmt haben.

Vor allem aber müssen wir hier in Deutschland eine ernsthafte Diskussion darüber führen, warum die hart erkämpften Errungenschaften der Demokratie in Teilen unserer Gesellschaft, bei Menschen mit und ohne Migrationshintergrund, so wenig Respekt und Wertschätzung erfahren. Und wir müssen auch diejenigen in diese Diskussion einbinden, die als Nichtwähler ihr Desinteresse an demokratischen Prozessen zum Ausdruck bringen, wie etwa die beim Türkeireferendum immerhin 54% der Wahlberechtigten in Deutschland. Gerade uns als Sozialdemokraten sehe ich hier in der Verantwortung, unsere Vorschläge für eine größere Akzeptanz demokratischer Grundlagen unserer Gesellschaft in der kommenden Legislaturperiode verstärkt in den Fokus der politischen Agenda zu rücken.

All das wird eine mühselige und anstrengende Diskussion, aber ich bin mir sicher, dass unsere Demokratie diese Mühe wert ist. Ich selbst kenne jedenfalls keine bessere Staatsform!

Und ich wünsche mir, dass wir Ostern 2018 wieder ohne Überraschungen der besonderen Art feiern können.

Ich bin gerne für Sie da